Berühmte Pferde

„Konsequent gibt Philipp Morlock seinen Mofa-Skulpturen die Namen berühmter Pferde. „Lamri“, nach dem Pferd von König Arthur, nennt er eines, über dessen Tank wie Schuppen übereinandergelegte BMW-Markenzeichen hängen wie eine Langhaarperücke, Tarnkappe oder Kettenhemd. Aus dem schnöden Gefährt wird so ein Gefährte auf der Reise in die Freiheit. Auf einer Fotografie begegnet man dem mytho-mechanischen Tier mit der Mähne aus Markenzeichen gemeinsam mit Morlocks „Jolly Jumper“ vor „Micks Scooter Scheune“ in einem Rudel wieder, im Verbund mit anderen, großen und kräftigen Maschinen.

„Marengo“, nach einem Dorf in der italienischen Provinz Alessandria, bei dem am 14. Juni 1800 die Franzosen unter Napoleon Bonaparte die Österreicher geschlagen haben, heißt ein zweites. Denn „Marengo“ hieß auch Napoleons Pferd, das dem Imperator nach der Schlacht bei Marengo fünfzehn Jahre lang treue Dienste leistete, bis es ihm bei Waterloo abhanden kam und in englischen Besitz überging. Philipp Morlock hängt sein „Marengo“ auf einen Bügel an eine überdimensionale Garderobe. Als ob es wie ein Kleidungsstück abgelegt worden wäre und nun wie eine triviale Trophäe aufbewahrt wird. Ein absurdes Souvenir vergangener Kämpfe. Denn jeder, der ausfährt und erfüllt vom träumerischen Willen zu entrinnen, ist ein Eroberer, gleichviel wie abgenutzt oder trivial das von ihm und nur für sich Eroberte aus einer historischen Perspektive auch erscheinen mag. Die Kunst aber ist ein Eroberer des Nutzlosen, der in den Dingen liest, bis sie bereit sind, zu sprechen.

„Jolly Jumper“ heißt ein drittes motorisiertes Reittier, gleich dem Apfelschimmel von Lucky Luke, der immer am richtigen Platz steht, wenn es darauf ankommt, der sprechen, einkaufen und Schach spielen kann, Kommentare abgibt und auf seinen Herrn aufpaßt, der bekanntlich schneller zieht als sein Schatten und dauernd hinter den Dalton-Brüdern her ist. Wie ein Insekt streckt dieser „Jolly Jumper“ seine Fühler nach dem Kommenden aus. Hinter sich läßt er eine in vielen Spiegeln zersplitternde Vergangenheit. Wirklich aber erscheint nur der Augenblick des Übergangs, das Vorbeihuschen einer Gegenwart, in die man hineinbraust und hinter sich läßt. Hat Öyvind Fahlström dem elliptischen Markenzeichen von „Esso“ einst nach dem selben Muster ein zweites mit dem Schriftzug „LSD“ in roter Schrift auf weißem, blau gerahmtem Grund zur Seite gestellt, dem Treibstoff des Fortschritts den der Protestkultur der sechziger Jahre beigesellt, so packt Morlock den Tiger nicht mehr in den Tank, sondern führt ihn im leuchtend roten Kanister auf dem Gepäckträger mit. Aus „Esso“ und „LSD“ ist nun „Essen“ geworden; der Proviant trägt den Namen des Proviants. Und so fährt, stets in einem der vielen Rückspiegel sichtbar, der Hunger nach Kraftstoff und Freiheit ebenso mit wie der Ort „Essen“, an dem ein Stipendium den Künstler nährt.“

Auszug aus dem Text „Auf Jolly Jumper zur Kötzinger Hütte – Bewegungsarten in den Skulpturen von Philipp Morlock“ von Thomas Wagner

Marengo (2005) – Motobecane-Mofa, Metall, Leder, Schrauben
335x 70 x 150 cm
Jolly Jumper (2005) – Hercules-Mofa, Spiegel, Kabelbinder, Kanister,Papier, Lack, Expander
180 x 90 x 123 cm
Lamri (2005) – Kreidler-Mofa, BMW-Emailembleme, Schrauben
180 x 50 x 100 cm